Mein Name ist Tim und ich bin 21 Jahre alt. Meine Hobbys sind der Kampfsport Ju-Jutsu, lesen und programieren.

Seit meinem 17. Lebensjahr bin ich als gesetzlich taubblind eingestuft.

Gesetzlich taubblind: Was heißt das?

Ich habe eine unbekannte Erkrankung, welche meine Seh- und Hörnerven schädigt. Die Durchblutung dieser Nerven ist gestört, wodurch sie langsam absterben und mein Seh- und Hörvermögen nachlässt. Farben habe ich noch nie gesehen, Formen nur recht grob als Kleinkind. Sprechen lernte ich hingegen ganz normal, da ich erst mit sieben Jahren schwerhörig wurde.

Für mich bedeutet dies, dass Kommunikation hauptsächlich mittels Text möglich ist – lautsprachliche Kommunikation funktioniert nur unter sehr speziellen Umständen.
Menschen, die erst taub und später blind geworden sind, kommunizieren oftmals über taktile Gebärdensprache. Diese ist im Grunde zu visueller Gebärdensprache identisch, jedoch legt der/die „Zuhörer/in“ seine/ihre Hände auf die Hände des oder der „Sprechers/Sprecherin“ und verfolgt die Gebärden so mit.

Für mich ist die Gebärdensprache jedoch eine Fremdsprache – ich beherrsche nur einzelne Brocken.

Besser liegt mir das Lormen, eine Form der taktilen Kommunikation, bei der Buchstaben durch Tippen und streichen auf der Hand signalisiert werden. Nachrichten werden also buchstabenweise übermittelt.

Bild des Lormalphabets für taubblinde Menschen
Tim ist taubblind. Mit dem Lormalphabet kann er gut kommunizieren. Foto: Philipp Winterberg

Taubblind studieren: Wie geht das?

Trotz diesen offensichtlichen Kommunikationsschwierigkeiten studiere ich angewandte Mathematik und Informatik an der FH Aachen. Es ist ein dualer Studiengang: Einerseits studiere ich, andererseits mache ich parallel eine Ausbildung zum mathematisch-technischen Software-Entwickler (MATSE).

Hierfür muss man einen Kenntnistest in Mathematik, Logik und Programmierung ablegen. Wenn dieser gut genug ausfällt, wird man von einer im MATSE-Pool befindlichen Firma als Azubi engagiert und kann sich anschließend einschreiben lassen. Ziel ist – wenn möglich – Studium und Ausbildung parallel abzuschließen, also nach drei Jahren bzw. sechs Semestern. Aufgrund meiner Behinderung wird es bei mir aber länger dauern.

Nebenjobs und externe Finanzierung des Studiums entfallen. Dafür muss ich jedoch 40 Stunden pro Woche arbeiten. Dabei gelten Vorlesungen quasi als Berufsschule; sie sind also Arbeitszeit.

Im Studium setze ich im Grunde eine Kombination der Techinken für blinde und schwerhörige oder taube Menschen ein. Zu den Blindentechniken gehören beispielsweise taktile Abbildungen, eine Braillezeile, ein Computer mit ScreenReader-Software und zu denen für Schwerhörige gehören insbesondere Schriftdolmetscher. Diese müssen natürlich auf meine Bedürfnisse eingearbeitet werden. Die Dolmetscher schreiben im Grunde alles mit, was gesprochen wird, und ich lese diese Mitschrift auf meiner Braillezeile. Auf diese Weise werden Vorlesungen, Gruppenarbeiten mit Kommiliton*innen und Übungen transkribiert. Die Dolmetscher versuchen dabei aber nicht nur die Tonspur zu transkribieren, sondern auch visuelle Eindrücke mit einzubinden, was für Schriftdolmetscher eher untypisch ist. Ohne ihre Hilfe wäre das Studium für mich nicht machbar.

Die Finanzierung meiner Hilfsmittel, Dolmetscher und Arbeitsassistenz läuft sowohl über den Landschaftsverband Rheinland (LVR), als auch über die Arbeitsagentur von Aachen, da ich ja parallel studiere und eine Ausbildung mache. Die Zuständigkeiten verschwimmen hier ein wenig.

Davon abgesehen sind die Herausforderungen für mich ziemlich ähnlich zu denen für blinde Studierende: Benötigte Programme sind nicht barrierefrei, Abbildungen müssen erst taktil erstellt werden, Skripte in ein für Blinde lesbares Format übersetzt werden. Dies übernehmen Kommiliton*innen für Credit-Punkte im Bereich der allgemeinen Kompetenzen oder meine Arbeitsassistenz gegen Bezahlung.

Es ist aufwändig und anstrengend; der Mehraufwand für alle Beteiligten enorm. Aber vier Semester, inklusive der nötigen Klausuren, habe ich bereits überstanden. Ich würde meine Hochschule nicht unbedingt als barrierefrei bezeichnen; jedoch sind sie durchaus engagiert – einer der Gründe, weswegen ich mich für Aachen entschieden habe.

Kontakt

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