Du möchtest dir das Interview lieber anhören, weil dir Lesen schwerfällt oder du Audios lieber magst? Kein Problem, wir haben das Interview für dich eingesprochen:

Carina (C): Magst du dich einmal vorstellen?
Katrin (K): Ich heiße Katrin, bin 27 Jahre alt und studiere gerade in meinem letzten Mastersemester Literaturwissenschaften an der Uni Köln. Was wollt ihr noch wissen?

C: Hast du irgendwelche Hobbies?
K: Ich lese unheimlich viel und gerne, und zwar quer durch alle Genres. Musik ist auch ein wichtiger Teil meines Lebens. So richtig wohl fühle ich mich aber, wenn ich an die frische Luft kann und in Bewegung bin, zum Beispiel auf dem Fahrrad oder mit den Inlinern.

C: Warum hast du dich damals bei der Studienwahl für die Uni Köln entschieden?
K: (lacht) Ich könnte jetzt standardmäßig sagen: Weil die Uni Köln über so ein breitgefächertes Angebot verfügt! Aber das wäre nicht der Hauptgrund.

C: Sondern?
K: Tatsächlich habe ich mich weniger für diese Uni entschieden, als mein damaliges familiäres Umfeld das für mich tat. Da ich im Umkreis von Köln aufgewachsen bin, noch Zuhause gewohnt habe und finanziell zu der Zeit keine anderen Möglichkeiten hatte, habe ich mich dann in Köln beworben und wurde auch direkt angenommen. Ich weiß, dass klingt ziemlich hinterweltlerisch für die Leute, die jetzt ihr Studium beginnen; aber ich war damals sehr stark von meinem sozialen Umfeld abhängig.

C: Und hast du es bereut, das es dann die Uni Köln geworden ist?
K: Jein. Dass ich sofort nach der Schule mit dem Studieren begonnen habe, war vermutlich nicht so klug. Könnte ich heute noch einmal die Entscheidung treffen, würde ich zuerst ein FSJ oder etwas derartiges machen, um mich selber besser kennenzulernen und mir die Zeit zu nehmen, die ich brauchte. Aber was die Uni angeht: Immer wieder Köln! Mir hat das Studium hier und vor allem die Stadt mit ihrem interkulturellen Flair und den vielen Angeboten innerhalb und außerhalb des studentischen Lebens generell sehr gut gefallen.

C: Ok, gut. Kommen wir doch mal zu unserem Thema: Was ist denn deine Beeinträchtigung?
K: Also die offizielle Diagnose lautet: „Generalisierte Angst- und Panikstörung und chronische Depression“. Ich habe diese offizielle Diagnose allerdings erst seit 2016. Soll ich einmal versuchen zu erklären, was genau das ist?

C: Ja, sehr gerne!
K: Die generalisierte Angst- und Panikstörung zeigt sich bei mir darin, dass ich öfters und abhängig von der sogenannten „Triggersituation“ Panikattacken bekomme. Diese äußern sich dann u.a. in Verbindung mit körperlichen Symptomen wie Zittern, Herzrasen, aber auch in Problemen mit der Sinneswahrnehmung und Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Kurz: Es wird alles zu viel und die Situation entgleitet meiner Kontrolle.
Psychisch manifestiert sich das darin, dass ich plötzlich sehr starke Angst spüre, sehr nervös bin, mich kaum noch konzentrieren kann – weder auf mich selbst, noch auf mein Umfeld. Das macht mir in so einer Situation die Alltagsbewältigung ziemlich schwer.
Dabei gibt es einen Unterschied zwischen Panik und Angst. Die Panikattacken sind meist Momentaufnahmen. Das bedeutet, sie dauern nie länger als 10-20 Minuten an, bevor der Körper wieder herunterfährt und aus dem Ausnahmezustand herauskommt. Angstzustände sind etwas anderes; sie dauern viel länger und sind viel schwerer einzugrenzen.

C: Und wie ist das mit deiner Depression?
K: Zur chronischen Depression muss ich erstmal etwas klarstellen: An einer chronischen Depression zu leiden bedeutet nicht, dass ich jeden morgen aufstehe und mir denke: „Ach, die Welt ist scheiße!“, sondern es sind depressive Phasen, die sehr stark in ihrer Intensität variieren können.
Du kannst dir das vorstellen wie eine Skala von 0 „alles ist gut“ bis 10 „am liebsten würde ich nicht weiteratmen“. Dazwischen ist natürlich sehr viel Raum. Die Intensität konnte bei mir durch Selbsthilfemethoden, die ich u.a. in einer Therapie erlernt habe, abgeschwächt werden. Ganz verschwinden wird meine chronische Depression, wie der Name schon sagt, aber sehr wahrscheinlich nicht mehr.

C: Verstehe. Und inwieweit schränkt dich die Depression in deinem Alltag ein, wenn du eine hohe Zahl auf der Skala erreicht hast?
K: In einer schwereren depressiven Phase, wie lange auch immer die andauert, habe ich Probleme, meinen Alltag zu bewältigen. Das zeigt sich dann schon bei den Basics wie Schlafen, Essen, Erledigungen machen, aber vor allem beim Pflegen sozialer Kontakte, was mir dann unglaublich schwer fällt.

C: Mit deinen Erklärungen kann ich mir auch als Außenstehende ein Bild machen. Und in welcher Verbindung stehen die zwei Erkrankungen? Sind das zwei verschiedene Diagnosen oder hängen sie zusammen?
K: Das ist eine gute Frage. Tatsächlich ging man bei der Diagnose vor ein paar Jahren davon aus, dass die Depression vermutlich schon viel früher, also seit der Schulzeit, als eine Art Grunderkrankung da war und sich in all den Jahren ohne Therapie und helfende Maßnahmen so richtig schön festgesetzt hat. Die Angst- und Panikstörung ist vermutlich erst später als eine Art Begleitkrankheit dazugekommen. So nach dem Motto: Worse comes to worse.

C: Mal ganz konkret gefragt: Wie schränkt dich deine Beeinträchtigung in deinem Studium ein?
K: Da muss ich tatsächlich unterscheiden zwischen vor und während Corona, denn die jetzige Situation macht schon einen großen Unterschied.

C: Wie war es denn vor der Pandemie?
K: Ich habe ja am Anfang schon erklärt, dass es sich um Phasen handelt. Wenn ich also in einer Phase bin, wo die Angststörung sehr stark ist, dann muss ich die meiste Energie darin investieren, meinen Alltag aufrecht zu erhalten. Und dann habe ich echt Probleme, das Arbeitspensum der Uni zu bewältigen. Ich kann mich dann nicht einfach vor den PC setzen und sagen: „So, jetzt schreiben wir mal 10 Seiten Hausarbeit.“ Da ich immer versuche, alle Aufgaben gewissenhaft und gut auszuführen, verstärkt dass die Angst und den Druck von außen und von mir selbst – das ist dann ein Teufelskreis, so dass es mir umso länger umso schlechter geht. So eine Phase ist auch unberechenbar; sie kann aber muss nicht genau dann kommen, wenn ich eine Deadline habe und eine Arbeit unbedingt fertig kriegen oder ein Referat vor dem Plenum halten muss. Das können die meisten Menschen, die nicht betroffen sind, sehr schwer nachvollziehen.

C: Und wie hat sich das während Corona verschlechtert?
K: Die psychosozialen Auswirkungen des Lockdowns und der ganzen Situation sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das ist ja schon für Menschen ohne Beeinträchtigung eine ziemlich belastende Situation. Aber Menschen mit psychischen Problemen nehmen das noch einmal anders wahr, denn die Fallhöhe ist eine andere. Wenn du den ganzen Tag zu Hause sitzt, in Isolation, niemanden so wirklich zum Reden hast und sich dein Leben plötzlich auf einem 14-Zoll-Bildschirm abspielt, dann kann das die Situation stark verschlechtern. Das liegt eben daran, dass die wichtigsten Gegenmaßnahmen, die man z.B. direkt als erstes in der Verhaltenstherapie erlernt, wegfallen oder doch zumindest sehr eingeschränkt sind.

C: Zum Beispiel?
K: Zum Beispiel die Strukturierung des Tages. Das hilft besonders Menschen mit generalisierter Angststörung oder starker Antriebslosigkeit, da sie dann wissen, was auf sie zukommt. Ich kann mir Dinge vornehmen, die ich dann durchziehe – auch wenn diese verdammte Angst mich zurückhalten will! Wenn ich weiß, ich habe heute zwei Seminare in der Uni, danach gehe ich mit meinen Freunden in die Mensa und dann gehe ich in die Mayersche, um meinen Büchergutschein vom Geburtstag einzulösen, dann gibt mir das Sicherheit und ich kann meinen Tag so gut es geht bewältigen. Das heißt nicht, dass ich mich wie ein Roboter an meinen Plan halten muss. Aber ich habe Möglichkeiten und vermeide „Leerstand“, der mich schnell zu schlechten Gedanken, Überforderung und Grübeleien bringen würde. Wenn aber fast alle normalen Aktivitäten wegfallen, weil man ja möglichst zu Hause bleiben soll, und wenn dann zusätzlich so eine angsterfüllte und unsichere Stimmung in der Gesellschaft herrscht und man wirklich ununterbrochen von allen Seiten nur negative Nachrichten und völlig überdrehte Diskussionen mitbekommt, reiben sich die Angst und die Depression freudig die Hände! Dann rutscht man sehr leicht in einen Krankheitsschub hinein. Das ist mir leider auch passiert, schon relativ zu Beginn der Pandemie. Klar, man kann auch das überleben. Aber die geforderte „Leistung“ zu erbringen ist für viele, auch für mich, dann so gut wie unmöglich.

C: Das glaube ich dir. Was ja mittlerweile doch etwas Mut macht, ist, dass es zumindest teilweise in den Medien kommuniziert wird.
K: Wurde aber auch Zeit!

C: Hast du, vielleicht zu Beginn deines Studiums oder währenddessen, einen Härtefallantrag gestellt oder Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen?
K: Nein, das habe ich nie.

C: Warum?
K: Ich denke vor allem, weil ich von der Existenz einer solchen Hilfestellungen für Menschen wie mich bis vor Kurzem gar nichts gewusst hatte. Ich hatte immer gedacht, ein Härtefall beträfe nur Menschen mit körperlichen oder ganz salopp gesagt: mit „nachweisbaren“ Beeinträchtigungen. Erst meine Verhaltenstherapeutin hat mich am Ende meines Bachelorstudiums während einer schwereren Krankheitsphase darauf hingewiesen, dass ein solcher Antrag auch für mich in Frage käme. Jetzt ist es natürlich zu spät, und, ehrlich gesagt, bin ich auch ziemlich stolz auf mich, dass ich mein Studium komplett ohne solche Hilfen alleine auf die Reihe bekommen habe. Für andere Betroffene ist das aber sicher eine wichtige und richtige Unterstützung!

C: Und nicht nur ein Nachteilsausgleich. Wie wär’s in deinem Fall mit einem Assistenzhund? Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, so eine Fellnase ist eine große Hilfe. Denn nicht nur für Blinde oder Menschen mit Sehbeeinträchtigung kann so ein ausgebildeter Hund eingesetzt werden.
K: Ja, davon habe ich auch schon gehört. So ein Hund könnte mich aus Triggersituationen wie enge Menschenmengen oder laute Umgebungen herausführen oder mich emotional unterstützen. Das finde ich eine sehr spannende Sache! Das werde ich mir definitiv für die Zukunft offen halten.

C: Aber noch einmal zurück zu deinem vergangenen Studium. Wie war für dich die erste Zeit an der Uni?
K: Leider keine gute. Ich hatte am Anfang große Probleme damit, mich zurechtzufinden, und vor allem mit meinem Umfeld in Kontakt zu treten. Das lag daran, dass sich zwei Wochen vor der Immatrikulation an der Uni mein bester Freund das Leben genommen hat. Und damit habe ich erst mal für lange Zeit den Boden unter den Füßen verloren. Ich war durch den Tod meines Freundes in eine schwere depressive Phase gerutscht. Also die volle „10“ auf der Skala – und das für etwa vier Semester. Du kannst dir sicher vorstellen, dass das keine guten Startbedingungen waren. So effektiv wie die Regelstudienzeit es vorsieht, kann man so definitiv nicht studieren, so viel steht fest.

C: Ohje. Das klingt nach einer schwierigen Zeit. Hast du da irgendwelche Hilfsangebote deiner Uni angenommen und wenn ja, kannst du über deine Erfahrungen berichten?
K: Als mein Zustand sich immer mehr verschlechterte, u.a. nach einem zum Glück gescheiterten Suizidversuch, habe ich eines Tages die Notbremse gezogen und mir nach und nach die Hilfe organisieren können, die ich gebraucht habe. Tatsächlich hat sich für mich das Blatt gewendet, als ich eher zufällig von der psychosozialen Beratung des Studierendenwerks der Uni Köln gehört und dann dort auf Gutglück mal angerufen habe. Ich kann an dieser Stelle allen betroffenen Studierenden dieses Angebot wärmstens empfehlen! Mir wurde damals sehr geholfen, in dem ich ungezwungen und in geschütztem Raum einen Gesprächstermin mit einer Sozialpädagogin vereinbaren konnte und ihr meine Sorgen und Problematik anvertrauen konnte. Es ist nicht dasselbe wie eine richtige Therapie, aber dennoch eine tolle erste Anlaufstelle, um sich etwas von der Seele zu reden, das man nicht mit seinem eigenen sozialen Umfeld besprechen kann oder möchte. In meinem Falle hatte meine Gesprächspartnerin mir dann ein paar hilfreiche Nummern gegeben und mir, falls ich es benötige, weitere Gesprächstermine zugesichert.

C: Du hast zu Beginn gesagt, dass du deine Diagnose erst vor ein paar Jahren bekommen hast. Was meinst du damit?
K: Richtig. 2016, nach dem ersten Kontakt mit der psychosozialen Beratung, kam dann einiges für mich ins Rollen. Ich bin dann für einen Monat in die Tagesklinik des FETZ (Früherkenntnis- und Therapiezentrum der Uniklinik Köln) gegangen, wo man mich ausführlich körperlich wie psychologisch untersucht hat, ich an Selbsthilfegruppen teilnehmen durfte und im Gespräch mit Psycholog*innen viel Unterstützung bekommen habe. Außerdem hat man dort eine richtige Diagnostik vorgenommen. Auch, wenn das nur ein Stück Papier ist, macht das schon einen großen Unterschied, auch in der Selbstwahrnehmung. Ich meine, du wachst ja auch nicht jeden Morgen mit dem Gedanken auf, dass du an deiner Sehbehinderung Schuld bist und es eigentlich nur ganz doll wollen musst, um wie alle anderen sehen zu können.

C (lacht): Nein, bestimmt nicht.
K: Tja, und so ähnlich ist es eben auch mit der psychischen Beeinträchtigung, die jetzt endlich mal beim Namen genannt wurde. Mit der Diagnose vom FETZ und einer Langzeitverhaltenstherapie hat sich dann, auch wenn das für andere eher nicht sichtbar war, Vieles für mich zum Guten gewendet. Ich habe in kurzer Zeit alles aufholen und meinen Bachelor doch noch ganz gut abschließen können. Ich weiß, dass Therapien nicht allen Betroffenen helfen, aber für mich war und ist es immer noch der richtige Weg. Ich habe dort viel Hilfe zur Selbsthilfe erhalten, viel Verständnis und Ruhe gefunden.

C: Das freut mich zu hören, dass du dort Hilfe bekommen hast! Das ist ja sicherlich auch für andere Betroffene eine nützliche Info.
K: Das denke ich auch.

C: Gut, kommen wir zum nächsten Punkt: Hast du dich im Studium überhaupt schon einmal Kommilitonen oder Dozenten gegenüber „geoutet“?
K: Tatsächlich nicht. Bis auf einige meiner Freunde, mein Partner und natürlich meine Familie weiß niemand von meiner Beeinträchtigung.

C: Woran liegt das?
K: Naja, du musst wissen, dass ich aus einem Umfeld komme, in dem über psychische Probleme nicht wirklich gesprochen wird, sondern immer abwinkende Handbewegungen und Ratschläge wie „Reiß dich doch einfach mal etwas zusammen!“ erhält. Die Male, die ich versucht habe, das offen zu kommunizieren, bin ich auf massive Ablehnung, aber vor allem auf Unverständnis gestoßen. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass psychsiche Erkrankungen nicht nur verschwiegen, sondern gleichzeitig skandalisiert werden.
Ein Beispiel: Bei einem Jobcoaching vom Studierendenwerk, wo mögliche Berufswege und Bewerbungsstrategien aufgezeigt werden sollten, hat mir meine Gesprächspartnerin dringend empfohlen, bei meiner zukünftigen Chefin kein Wort über irgendeine „Psychosache“ zu verlieren. Das käme nicht gut an. Stattdessen solle ich für Lücken im Lebenslauf immer eine Ausrede finden, so unter dem Label „familiäre Angelegenheiten“. Auch, wenn das überhaupt nicht stimmt! Solche und ähnliche Situationen gab es viele. Deswegen habe ich mich schon zu Beginn des Studiums entschlossen, meine Beeinträchtigung allgemein nicht zu erwähnen – einfach um mir selber nicht noch mehr Stress aufzuladen.

C: Meinst du denn, es wäre jetzt besser, sich den Leuten, mit denen man zu tun hat, zu offenbaren?
K: Es kommt drauf an. Natürlich nimmt es unheimlich viel Druck weg, wenn man nicht ununterbrochen damit beschäftigt ist, sich anzupassen und seine Schwächen vor der Welt zu verstecken. Ehrlichkeit währt sicher am längsten, ja. Wenn das Umfeld einen angemessenen Umgang damit zeigt, dann wäre es sicherlich hilfreich und würde einen selber auch ein Stück weit zur Ruhe kommen lassen.

C: Was ist deiner Meinung nach ein angemessener Umgang?
K: Das ist, denke ich, wie bei allen anderen Outings auch: Wenn ich weiß, dass die Menschen nicht bereit sind für einen Dialog und ich stattdessen dazu genötigt werde, mich für meine Beeinträchtigung zu rechtfertigen, dann macht das ja wenig Sinn. Wieso soll ich mich freiwillig in eine Opferrolle drängen lassen? Man sollte bei einem Outing selber entscheiden, was und wie viel man wem erzählen möchte. Nicht jeder muss meine gesamte Lebensgeschichte erfahren – und hat auch nicht das Recht, mich auszufragen! Das, meiner Meinung nach, größte Problem in unserer Gesellschaft beim Thema „unsichtbarer“ Beeinträchtigungen ist, dass den betroffenen Personen, ob subtil oder offen, ständig sugeriert wird, sie müssten sich für ihre Beeinträchtigung rechtfertigen oder diese beweisen. Getreu dem Motto: „Was man nicht sieht, das ist nicht da“. Ich muss mich also erklären, muss Antworten finden, warum ich so bin und nicht anders.

C: Ja, das kenne ich. Menschen mit „sichtbaren Beeinträchtigungen“ sind auch oft in Erklärungsnot; allerdings fragt man uns nicht „Warum?“, sondern „Wie?“.
K: Aber es würde nie jemand zu dir kommen und sagen: „Guten Morgen, Carina, bist du immer noch blind?“

C (schmunzelt): Nein, das vermutlich nicht. Oder zumindest nicht in unserem Kulturkreis.
K: Ich selber habe die Frage so oft gehört, ob ich denn „immer noch“ depressiv sei und ob ich mich denn nicht mal ein wenig „zusammenreißen“ könnte. Ich weiß, dass das oft nicht mal böswillig kommuniziert wurde, sondern aus Unkenntnis oder Hilflosigkeit. Schließlich bin ich selber auch Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen; das ist sicherlich nicht immer einfach zu händeln. Ich weiß auch, dass es momentan einen Mentalitätswandel gibt, gerade auch was die psychischen Probleme bei Jugendlichen und Kindern angeht, und das geht auch, wie ich finde, in eine sehr positive Richtung. Aber solange die Mehrheit der Menschen immer noch glaubt, dass psychische Beeinträchtigungen in gewisser Weise „Ansichtssache“ sind, stehe ich einem Outing kritisch gegenüber.

C: Und was kann deine Universität da tun, um die Betroffenen zu unterstützen?
K: Also das schließt sich natürlich dem allgemeinen Wunsch nach einem offenen und neutralen Umgang mit dem Thema und den Betroffenen in allen universitären Bereichen an. Es sollte möglich sein, beispielsweise beim Internetauftritt oder aber in den Räumlichkeiten der Uni, dieses Thema stärker in den Fokus zu nehmen und vor allem zu informieren. Einfach, damit es ein normaler Teil des Alltags wird. Nicht überbetonen, aber definitiv enttabuisieren. Da reicht es nicht, wenn irgendwo mal ein Flyer oder ein Teepäckchen mit der „Nummer gegen Kummer“ in der Mensa herumliegt. Der Zugang zu Informationen muss viel leichter sein, damit man auch in einer akkuten Problemsituation Zugriff auf Angebote hat.

C: Gut. Vielen Dank für das Gespräch. Möchtest du zum Schluss den Betroffenen noch irgendetwas auf dem Weg mitgeben?
K: Liebe Leute, schämt euch nicht dafür, wie ihr seid. Weder müsst ihr es irgendwem recht machen, noch ist es eure Schuld. Ich kann euch nur ans Herz legen: Geht euren Weg! Ihr könnt dabei auch mal gegen Laternen laufen oder in Pfützen treten – that’s life. Aber seid stolz dabei, bitte! Ihr habt schon so viel geschafft, und zwar unter erschwerten Bedingungen. Sucht euch Hilfe, wenn ihr sie benötigt, und scheißt drauf, was irgendwer dazu sagt! Es geht nämlich nur um euch. Ende der Durchsage.

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