Du möchtest dir dieses Interview lieber anhören, weil du nicht so gerne lange Texte liest oder dir das Lesen allgemein schwerfällt? Kein Problem, wir haben es für dich eingesprochen:

Carina (C): Stell dich doch erst einmal vor.
Helena (H): Ich heiße Helena und bin 29 Jahre alt. Ich bin seit 2012 an der Universität zu Köln eingeschrieben und studiere Psychologie im Master. Mittlerweile bin ich fast fertig mit dem Studium. Seitdem ich 16 bin, sitze ich wegen einer Querschnittlähmung im Rollstuhl. Vor allem meine linke Körperseite ist eingeschränkt, also vor allem der linke Arm und das linke Bein. Meine rechte Hand kann ich beispielsweise aber benutzen, obwohl ich in dieser Hand kein Gefühl habe.

C: Und hast du irgendwelche Hobbys?
H: Ich gehe einmal die Woche schwimmen und zur Physiotherapie. Seit ich 12 Jahre alt bin, habe ich eine Dauerkarte beim 1. FC Köln und lasse mir von denen regelmäßig mein Herz brechen, weil die so schlecht spielen. Wenn es aber mal gut läuft, ist es dann um so schöner. Ich mache halt vor allem das, was viele so machen: Treffen mit Freunden, Kino, Einladungen, spazieren gehen. Seit 8 oder 9 Monaten habe ich einen neuen Freund, das ist in der Coronazeit super nett. Natürlich interessiere ich mich auch für Psychologie.

C: Warum hast du dich für die Universität zu Köln entschieden?
H: Ich bin in Köln aufgewachsen. Ich bin vor dem Abitur von zu Hause ausgezogen und hatte meine barrierefreie Wohnung und Freunde und Ärzte hier in Köln-Ehrenfeld. Ich habe mich auch nur an der Uni Köln beworben – nämlich auf Psychologie und Lehramt. Für beides bin ich dann auch angenommen worden.
Psychologie wollte ich schon länger machen, schon seit der 7. Klasse.

Beim Master habe ich dann aber mehr recherchiert, da ist es noch schwerer, einen Platz zu bekommen. Ich wurde noch in Bremen und Münster angenommen, aber in Köln war es praktischer für mich. Fachlich bin ich leider nicht komplett zufrieden, aber ich kenne die Gegebenheiten ja vom Bachelor.

C: Hast du Härtefallanträge oder Ähnliches genutzt?
H: Aber Hallo! Nach meinem Unfall bin ich auf eine integrative Schule gegangen, die Anna–Freud-Schule Köln, eine echt tolle Schule. In einem Berufsberatungsgespräch wurde mir gesagt, ich könne mit meiner Behinderung alles studieren, was ich möchte, egal welchen Notenschnitt ich im Abitur hätte. Ich hatte dann einen 2,7er Schnitt und habe mich mit einem Härtefallantrag in Köln beworben. Das hat gut geklappt. Ich hatte nicht so einen guten Bachelorabschluss, deshalb habe ich das beim Master wieder gemacht. Ich finde die Härtefallregelung fair, denn ich lebe alleine und mache alles alleine.

C: Welche Nachteilsausgleiche hattest du dann im Studium so?
H: Ich habe in der Schule gelernt, den Nachteilsausgleich bei Klausuren zu nutzen. Ich schreibe Klausuren in einem barrierefreien Raum und habe eine 100%ige Schreibzeitverlängerung. Ich kann meine rechte Hand theoretisch normal bewegen, spüre in ihr wie gesagt aber nichts. Deshalb schreibe ich langsamer. In Psychologie muss man außerdem 30 Versuchspersonen-Stunden (VP-Stunden) sammeln. Man nimmt dann zum Beispiel an Experimenten und Umfragen teil. Am Computer kann ich keine Tests mit beiden Händen machen und auch mit barrierefreien Räumen war das kompliziert. Also durfte ich, anstelle VP-Stunden zu sammeln, eine Hausarbeit schreiben.

C: Was musstest du denn machen, um die Nachteilsausgleiche zu bekommen?
H: Bei mir ist das so, dass ich ein ärztliches Attest, ein Anschreiben und eine Kopie des Schwerbehindertenausweises einreichen musste. Im Bachelor musste ich das für jedes Semester neu machen. Im Master reichte es am Anfang und galt für alle Klausuren. Das ist viel Bürokratie.

C: Und wie schränkt dich deine Beeinträchtigung im Studienalltag ein?
H: Vor allem zeitlich, alles ist aufwändiger. Ich muss für alle Klausuren extra E-Mails schreiben, was normalerweise mit 2 Klicks erledigt ist. Das geht dann an den Prof., an das Sekretariat und an die Abteilung für Studierende mit Behinderung. Von der Barrierefreiheit her geht es. Ich bin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät. Ich muss oft früher da sein als die Anderen, denn ein Aufzug kann schon mal defekt sein. Am Wochenende sind manchmal Blockseminare, wo die Aufzüge und Gebäude halb geschlossen sind, da muss ich die Hausmeister suchen. Ich brauche für einige Aufzüge immer den Hausmeister wegen des Schlüssels. Es gibt Gebäude an der Uni und an der Humanwissenschaftlichen Fakultät, die nicht barrierefrei sind. Da muss ich mich vorher per E-Mail kümmern, dass das geregelt wird. Ich sitze oft blöd im Hörsaal, weil es da überall Stufen gibt und ich mich dann in die erste Reihe setzen muss. So muss ich immer alleine sitzen und ganz steil nach oben gucken, um die PowerPoint-Präsentation zu sehen. Das tut irgendwann im Nacken weh. Und in der ersten Reihe gibt es ja keine Tische, das erschwert das Mitschreiben, da ich meinen Block dann auf den Schoß legen muss.
Zur Uni komme ich mit dem Taxi, da bin ich leider nicht so unabhängig. Für mich war Corona deshalb sehr praktisch.

C: Wie gehst du mit der Beeinträchtigung gegenüber Kommiliton*innen und Dozent*innen um?
H: Meine Behinderung ist sichtbar. Ich fahre ja nur Rollstuhl, daher ist es kein Geheimnis. Man sieht, dass ich die Treppen nicht benutzen kann. Ich würde auch sagen, dass keine besondere Rücksicht auf mich genommen wird, denn bei Zeitverlängerung muss ich selber auf die Lehrenden zugehen. Bei Kommiliton*innen habe ich es immer so gemacht, offen und mit einer gewissen Selbstironie zu agieren.
Die Nacht vor dem Beginn des Studiums hatte ich Angst und habe lange überlegt, ob ich mir eine Assistenz besorge, denn ich kann die Gebäude nicht selbstständig wechseln. Das war eine lange Debatte mit mir selber. Ich hab das dann nicht gemacht. Dafür hatte ich dann viel Angst. Ich hatte wirklich existentielle Angst. Auch Angst, mich selbst zu vernachlässigen. Ich bin dann aber in die Uni gegangen und habe direkt Leute kennengelernt. Der Erste war ausgebildeter Krankenpfleger. Er hat auch das Psychologiestudium angefangen und wir freundeten uns vor dem Gebäude an. Die Leute dachten, dass er mein Assistent wäre. Es hat drei Wochen gedauert, bis die Leute verstanden haben, dass das nicht so ist.

C: Hat es denn gut geklappt ohne Assistenz?
H: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute gerne helfen, wenn man fragt: „Kannst du mir mit dem Aufzug helfen oder die Tür aufmachen?“ Zum Glück habe ich noch nie erlebt, dass jemand sagt, dass er da keinen Bock drauf hat. Ich kam so sehr schnell mit Leuten ins Gespräch und habe auch Freunde gefunden. Es bietet sich auch an, mich anzusprechen, da ich ja viel Hilfe brauche.

C: Warum wolltest du denn keine Assistenz?
H: Ich dachte, so lerne ich niemanden kennen. Und ich dachte, ich brauche es nicht. Beim Mitschreiben dachte ich, es gibt unterschiedlich mitschreibewürdige Inhalte, aber ich habe mich sehr stark eingeschränkt. Ich habe Freunde, die haben Assistenz zu Hause. Das könnte ich nicht. Das ist aber Gewöhnungssache und bei mir geht es ja, aber wenn es nicht anders gehen würde, hätte ich bestimmt auch Assistenz.

C: Und bereust du diese Entscheidung?
H: Nein, ich kann vieles alleine, aber Kleinigkeiten dann wieder nicht. Es war aber schon die richtige Entscheidung. Ist ja nochmal gut gegangen. Ich habe meine Beeinträchtigung nicht von Geburt an und war immer total selbstständig.

C: Ist deine Hochschule für dich barrierefrei?
H: Es gibt Nachholbedarf, was das angeht, aber es sind Kleinigkeiten. Am Hauptgebäude der Humanwissenschaftlichen Fakultät gab es einen automatischen Türöffner. Der wurde wegen Denkmalschutz aber wieder entfernt. Das Studierendenservicecenter hat eine Rampe bis vor die Tür, du stehst aber schief vor der Tür. Ich als Rollstuhlfahrerin habe also große Probleme, weil die Tür zu dir aufgeht, aber du stehst dann schief. Es ist also nicht selbstständig barrierefrei. An der Humanwissenschaftlichen Fakultät musst du für einen Aufzug immer einen Schlüssel ausleihen, also musst du warten, bis der Hausmeister kommt. Und du musst warten, wenn du den Schlüssel wieder abgeben musst. Das ist ein Zeitfresser, du musst die Zeit immer einplanen. Die Hörsäle sind zwar meistens rollstuhlgerecht, aber du sitzt dann vorne und musst hochschauen, was dann nicht gut für den Nacken ist. Die Seminarräume sind auch relativ klein. Ich habe einen Aktiv-Rollstuhl und bin deshalb nicht so breit, aber Freunde von mir haben E-Rollis. Das ist unpraktisch, weil die Seminarräume sehr klein sind und sie mit den Rollstühlen viel Platz brauchen. Du musst auch Toilettenschlüssel für die Behinderten-WC’s leihen oder kaufen. Das ist dieser Euroschlüssel, den es EU-weit gibt. Prinzipiell gibt es überall Rampen und Aufzüge, aber ob du die selbstständig nutzen kannst, ist die Frage. Es funktioniert nicht immer alles und einige Gebäude sind nicht barrierefrei. Veranstaltungen werden auch nicht unbedingt extra für Rollstuhlfahrer umgeplant. Man muss sich immer selber kümmern. Es hat sich schon was verbessert im Vergleich zu der Zeit, als ich mit dem Bachelor angefangen habe.

C: Woher weißt du denn, ob Räumlichkeiten barrierefrei sind?
H: Auf den Plänen der Uni Köln steht an den Gebäuden dran, dass sie barrierefrei sind oder auch nicht, glaube ich. Diese Lagepläne findest du im Internet.

C: Welche Angebote der Uni Köln für Studierende mit Beeinträchtigung hast du denn schon in Anspruch genommen?
H: Ich habe vieles erst durch eine Kommilitonin erfahren, die ich bei einer Klausuraufsicht kennengelernt habe. Sie hat bei der Assistentenstelle der Uni gearbeitet und hat mir dann die ganzen Angebote erklärt, die es hier gibt. Die Uni Köln hat eine eigene Abteilung für Studierende mit Beeinträchtigung. Sie stellt selber Assistenzkräfte für bestimmte Zeiten an, die du dann nicht über andere Kostenträger abrechnen musst. Außerdem kann Literatur für dich eingescannt werden. Das ist praktisch für mich, weil ich die Bücher dann nicht tragen muss.
Was ich noch gut finde, ist die psychosoziale Beratung. Die habe ich in Anspruch genommen, als es mir schlecht ging. Ich habe innerhalb von drei Tagen einen Therapeuten bekommen, bei dem bin ich immer noch. Ich habe da echt gute Erfahrungen gemacht. Ein paar Angebote habe ich nicht in Anspruch genommen, zum Beispiel die Sozial- und Berufsberatung. Aber jetzt zum Ende des Studiums überlege ich, ob ich da mal hingehen soll.
Was ich oft von anderen Unis mitbekommen habe, ist, dass es an der Uni Köln fast zu „gut“ strukturiert ist. Es gibt dadurch aber weniger Spielraum für individuelle Lösungen. Wir sind ja alle unterschiedlich eingeschränkt.

C: Welche Angebote würdest du dir wünschen?
H: Individuellere Lösungen. Es gibt die einzelnen Stellen, aber niemand kennt deinen Fall gut. Ich hätte mir am Anfang eine Infoveranstaltung oder eine PDF-Datei mit den Angeboten gewünscht. Die Barrierefreiheit muss auch besser ausgewiesen werden und wurde größtenteils von gehenden Menschen gemacht, wie im Beispiel mit der Rampe. Da muss man differenzieren.
Es gab Verbesserungen. Der Nachteilsausgleich gilt jetzt für das ganze Masterstudium und muss nicht jedes Semester neu gestellt werden.
Vorlesungen müssten auch häufiger per Video aufgenommen werden, damit man nicht im Hörsaal sitzen muss. Mein Schreibblock liegt dort auf meinem Schoß und so fällt mir das Schreiben schwer. Online-Angebote bringen mir viel mehr.

C: Würdest du dir Angebote wünschen, durch die du dich besser vernetzen kannst?
H: Das hätte geholfen. Als ich angefangen habe, war die zuständige Person blind, was auf der einen Seite gut war. Sie hat aber manchmal den bürokratischen Aufwand nicht richtig einschätzen können. Ich wusste das dann natürlich auch nicht.
Ein älterer Studierender als Kontakt wäre gutgewesen, um Tipps zu den genannten Problemen zu geben. Es gibt ja immer die Einführungsveranstaltungen zu Beginn des Studiums. Da könnte man spezielle Veranstaltungen für Behinderte anbieten. Führungen zum Beispiel, aus Sicht von Behinderten. Es gibt immer ein paar Geheimtipps, die nur Menschen mit Beeinträchtigung kennen.

C: Wie finanzierst du dir das Studium?
H: Ich habe Probleme mit Nebenjobs, da mir das Taxi nur zum Arzt und zur Uni bezahlt wird. Ich wurde bis zum Bachelor von meinem Vater finanziert, der hat mir dann aber zurecht den Geldhahn zugedreht. Seitdem lebe ich von einem Studienkredit von der DAKA, der im September ausläuft. Es gibt Freunde meiner Familie, die mich unterstützen. Ich bekomme auch noch Kindergeld. Ich werde wahrscheinlich ein Semester länger studieren. Da können vielleicht meine Großeltern einspringen. BAföG und Nebenjob gehen nicht, hätte ich aber gerne gemacht. Es gab nur keine Stelle, die das Taxi zur Arbeit zahlt.

C: Was möchtest du anderen Studierenden mit Behinderung noch mit auf den Weg geben?
H: Es lohnt sich auf jeden Fall, so einen Weg einzuschlagen. Seid offen, fragt lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Es ist aufwändig, das ist wohl so. Manchmal hadere ich, ob ich eine Ausbildung hätte machen sollen. Nehmt vielleicht mehr Angebote in Anspruch als ich.

Kontakt

Du möchtest Kontakt zu Helena aufnehmen? Dann schreib uns einfach über unser Kontaktformular. Wir stellen dann den Kontakt her.

Teile diesen Beitrag gerne mit anderen, wenn du magst.