Carina (C): Fangen wir damit an, dass du dich vorstellst.
JD: Mein Spitzname ist JD, ich bin 32 Jahre alt. In meiner Freizeit mache ich ehrenamtliche Jugendarbeit im CVJM, das steht für Christlicher Verein Junger Menschen und ist der deutsche Zweig des YMCA Weltbundes (Young Men’s Christian Association). Das ist die größte internationale Jugendorganisation auf dem Planeten. Neben christlicher Jugendarbeit machen wir auch weltliche Projekte wie Theater, Musik, Diskussionsgruppen. Dieses Engagement ist ein Teil meines Lebens, ein anderer, ziemlich gegenteilig, ist Programmieren.

C: Und was und wo studierst du?
JD: Ich studiere im Master Digital Games an der Technischen Hochschule Köln.

C: Was kann ich mir denn unter Digital Games vorstellen?
JD: Es ist eine wilde Mischung aus Technik, z.B. haben wir 3D Grafiken, oder Spieleprogrammierung, worauf ich mich spezialisiert habe. Dazu gehört dann Leveldesign, Storydesign und sich Hintergrundgeschichten von Charakteren oder Regeln eines Computerspiels auszudenken. Es ist auch sehr Kultur- und Medienwissenschaftlich. Im Bachelor haben wir uns beispielsweise damit beschäftigt, was das Publikum, also alle Rezipienten von Medien, während der Aufklärung gemacht hat. Wir haben also einen großen Hintergrund aus Medientheorie, Praxis und Analytik. Eine große Mischung. Als Institut sind wir übrigens den Kulturwissenschaften zugeordnet.

C: Und was ist deine Beeinträchtigung?
JD: Ich habe das Tourette Syndrom. Es hat sich seit der Kindheit und Jugend schon verbessert. Für die, die es nicht kennen: Die Menschen zucken herum und/oder beleidigen in den krassesten Fällen unkontrolliert. Fürs Fernsehen werden die ganz gerne ausgewählt, aber damit haben die meisten Betroffenen gar keine Probleme. Bei mir ist es so, dass es sich in der Pubertät zurückentwickelt hat. Man sieht mir das heute eigentlich nicht mehr an. Es sind eher Zwänge, die ich habe, die mich im Studium und dann auch in Prüfungssituationen beeinträchtigen.

C: Hast du mal ein Beispiel dafür?
JD: Während der Schulzeit hatte ich Mathematik als Leistungskurs. Ich habe währenddessen auch eine schulische Ausbildung gemacht und musste deswegen Mathe als Leistungskurs nehmen. Ich kam nur durch die Hälfte der Klausuren, weil ich unkontrolliert Zahlen durchgestrichen und Rechenwege mehrfach oder auf mehreren Wegen ausgeführt habe, aber eben zwanghaft. Meine beste Note im Leistungskurs war eine 4+.

C: Und wie ist das mit deiner Beeinträchtigung im Studium?
JD: Die beeinträchtigt mich eher weniger. Ich habe Fächer, in denen es nicht so sehr auf Exaktheit und Schnelligkeit ankommt. Wir haben natürlich Klausuren, aber durch Covid-19 werden im Moment keine geschrieben. Im Bachelor waren es auch wesentlich mehr. Im Moment ist das zum Glück weniger. Ich bin aber auch noch hyperaktiv und zum Beispiel gerade jetzt bei dem ganzen Home-Office zu Hause vor dem Bildschirm werde ich dann irgendwann verrückt. Ich meckere Leute dann schonmal unangemessen an.

C: Warum fiel deine Wahl auf die Technische Hochschule Köln?
JD: Das war gar keine Entscheidung für die TH Köln, sondern für diesen Studiengang. Ich habe schon länger überlegt, studieren zu gehen, was ich auch immer wollte, aber wegen dem Problem mit Mathe hätte ein klassisches Informatikstudium keinen Sinn. Ich hätte das schon verstanden, aber die Klausuren verhauen. Auf einer Geburtstagsfeier habe ich mich mit jemandem unterhalten, der schon Digital Games studierte. Dann habe ich überlegt, ob das nicht auch was für mich sein könnte. Ich hatte einen unbefristeten Job als Softwareentwickler. Den habe ich an den Nagel gehängt und mit 26 angefangen zu studieren. Ich habe es nie bereut. Ich bin seit Beginn mit großem Eifer dabei. Mich interessiert mehr das Institut als die Technische Hochschule im Ganzen.

C: Hast du für die Studienplatzbewerbung Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen?
JD: Das war für mich nie ein Thema, ich musste mich normal bewerben. Es gibt bei uns übrigens keinen NC, sondern eine Qualifizierungsprüfung. In einem zweistufigen Bewerbungsverfahren habe ich eine Ausarbeitung zu einem Thema gemacht, ein Spielkonzept entwickelt und ein Bewerbungsgespräch hatte ich auch noch. Ich hatte nicht das Gefühl einen Nachteilsausgleich zu brauchen.

C: Helfen dir die herkömmlichen Nachteilsausgleiche überhaupt?
JD: Naja, eigentlich eher weniger. Im Abitur hatte ich zwar eine Schreibzeitverlängerung als Nachteilsausgleich, aber trotz der halben Stunde länger habe ich die Klausuren verhauen. Ein Nachteilsausgleich hilft also nicht immer. Ich hätte viel mehr Zeit oder einen anderen Nachteilsausgleich gebraucht. Es hätte keinen Sinn gemacht zu schreiben, dass ich eigentlich 2 Stunden bräuchte, obwohl die Klausur 2 Stunden dauert. Für mich ist also die Zeit eher ein Problem. Ein gesonderter Raum hätte mir auch nicht geholfen. Es ist die Frage, ob ein Nachteilsausgleich überhaupt helfen kann, was man klassisch darunter versteht. Ich empfand es eher als minimales schmälern.

C: Wie gehst du mit deiner Beeinträchtigung im Studienalltag um?
JD: Ich gehe mit der Beeinträchtigung sehr offen um. Ein Vorteil ist, dass man mir die Beeinträchtigung nicht ansieht. Ich habe kaum noch Ticks, also die unkontrollierten Bewegungen, die mit Tourette einhergehen. Abends habe ich das manchmal, wenn ich mich entspanne. Im Alltag ist es eher weniger. Es ist also im Studium kaum Thema und viele Kommiliton*innen wissen das gar nicht. Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Zwang auftritt, erfahren das die Leute um mich herum, was auch hilfreich ist. Ich trage es nicht vor mir her.

C: Du brauchst dir ja auch kein Schild um den Hals hängen.
JD: Das ist schon richtig, wenn du aber eine sichtbare Beeinträchtigung hast, weiß ja jeder, was Sache ist. Bei dir sieht man das zum Beispiel total, das kann auch praktisch sein. Du musst nicht jedes mal alles erklären. Die Leute stellen dir vermutlich eher Interessensfragen. Du musst ja nicht grundsätzlich das Problem erklären. Mir treten die Leute vielleicht unvoreingenommener entgegen, weil sie ja gar nichts verändertes wahrnehmen.

C: Hast du im Studium denn mal einen Nachteilsausgleich in Anspruch genommen?
JD: Nein. Ich hatte darüber nachgedacht, aber es war nicht nötig. Was ich mal gemacht habe, war, mich mit einem nachträglichen Attest eines Psychaters von einer Prüfung abzumelden. Die Deadline der Abmeldung war nämlich eigentlich schon überschritten. Mir ging es so schlecht, dass ich nicht lernen konnte. Das war der einzige Fall. Letztes Semester war für mich das erste digitale Semester, davor habe ich die Bachelorthesis geschrieben, wodurch ich von der digitalen Lehre nicht so viel mitbekommen habe. Bei uns war es so, dass wir allesamt den Eindruck hatten, dass der Workload ziemlich hoch war. Wir hatten alle den Eindruck, es war schwer dem gerecht zu werden, weil das Semester coronabedingt ja kürzer war. Wir sind in ziemlichen Stress mit den Fristen gekommen. Ich hab mich dann aus einem Modul wieder abgemeldet, dass wiederhole ich dann im kommenden Semester. Ansonsten habe ich nichts anderes.

C: Warum hast du sonst keine Nachteilsausgleiche genutzt?
JD: Ich bin nicht stressresistent. Ich bin sehr schnell in einem Bereich, wo es schwer ist, mit Belastungen umzugehen. Das kann man nicht mit einem Nachteilsausgleich verbessern. Ich habe mit Professor*innenen diskutiert, Deadlines zu verlängern. Ich kann aber schlecht argumentieren, dass ich in allen Fächern 1 Monat länger bekomme, das nehme ich nicht als Nachteilsausgleich wahr.

C: Welche Angebote für Studierende mit Beeinträchtigung an der Technischen Hochschule Köln hast du bisher genutzt?
JD: Am Anfang des Studiums, vor dem Studium eigentlich, war ich bei Frau Fischer. Sie ist die Beauftragte für Studierende mit Beeinträchtigung. Ich hatte ein Beratungsgespräch bezüglich meiner Möglichkeiten und der aufkommenden Probleme. Frau Fischer macht meiner Meinung nach einen sehr sehr guten Job. Sie ist für die Menschen da, die sie benötigen. Sie ist kreativ, wenn ein Problem gelöst werden muss. Sie erkennt auch schnell, wo ein Problem ist. Sie geht die Dinge auch mit Energie an. Das Mentoringprogramm Best Tandem war nur möglich, weil sie sich engagiert hat, was ich ihr sehr hoch anrechne. Ich habe den Eindruck, es macht ihr Freude. Ich hab auch mal in einem Institut als studentische Hilfskraft gearbeitet und hatte mit ihr wegen inklusiver Digitalisierungsmaßnahmen zu tun. Wir haben also zusammengearbeitet. Sie hat mich dann gefragt, ob ich bei Best Tandem mitarbeiten möchte.

C: Best Tandem, was ist das genau?
JD: Das ist ein Mentoringprogramm, in dem Erstsemesterstudierende mit Beeinträchtigung einen Mentor/eine Mentorin mit Beeinträchtigung bekommen. Für einen besseren Start in den Studienalltag.

C: Würdest du dir denn weitere Angebote für Studierende mit Beeinträchtigung wünschen?
JD: Man muss differenzieren. Vor der digitalen Lehre waren wir am CGL (Cologne Game Lab). Wir sind ja in Köln-Mülheim, zusammen mit dem Studiengang Code & Context. Ansonsten ist da ja von der TH nichts. Sonst ist da nur die ISF (Internationale Filmschule), mit der die TH auch verbunden ist, jedoch kein offizielles TH-Institut ist. Ich weiß gar nicht, was es an den anderen Standorten für Angebote gibt. Ich war am CGL gut eingebunden.

C: Gibt es etwas, was sich für Studierende mit Beeinträchtigung ändern sollte?
JD: Es braucht mehr allgemeine Förderhilfen. Das Wort Behindertenbeauftrage klingt doch doof, aber wie soll man es sonst kürzer sagen. Der Job ist wichtig, aber er kann auch nicht alle Probleme lösen. Sie kann keine Assistenz anstellen oder anwerben, was viele bräuchten. Es müssen auch Barrieren gesenkt werden, um überhaupt an die TH zu kommen. Viele haben Probleme bei der Beschaffung von Informationen über eigene Möglichkeiten, Finanzierung oder weitere Unterstützungen.

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