Dir fällt das Lesen schwer oder du hörst dir lieber etwas an. Hella hat ihren Text auch für dich eingesprochen:

Carina und ich sind nicht nur Assistenznehmerin und Assistenz, sondern auch Kommilitoninnen und Freunde. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und uns viel ausgetauscht. Obwohl das Thema Sehbehinderung für mich nicht komplett neu war, konnte ich durch Carina eine andere Lebensrealität kennenlernen.

Ich bin Hella, 22 Jahre alt, und studiere Online-Redakteur an der TH Köln im 7. Semester. Seit dem ersten Semester arbeite ich für meine Kommilitonin Carina als Studienassistenz.
Carina ist blind. Für sie sind alltägliche Teile des Studiums nicht so möglich wie für Normalsehende. Das fängt beim Weg zur Uni an. Auch Folien, Grafiken, Anwendungen und Lektüre sind für Carina nicht ohne weiteres nutzbar.

Heute findet Carina ihre Assistenten über Ausschreibungen auf Facebook oder in Stellenbörsen, zum Beispiel die der Universität zu Köln.

Bei mir war das damals anders. Carina hat unter den Kommilitonen gesucht, die sich in meinem Jahrgang eingeschrieben haben. Der liebe Zettel, auf dem Carina um Assistenzen warb, ist mir sofort aufgefallen. Ich habe in meiner Familie selbst sehbehinderte Menschen und konnte mir den Job gut vorstellen. An unserem ersten Tag in der Uni hat Carina sich noch einmal vorgestellt. Dann habe ich sie angesprochen. Der Bewerbungsprozess war dann unkompliziert. Organisiert ist die Arbeit als Studienassistenz über die Minijobzentrale, formal angestellt bin ich aber bei ihr im Privathaushalt.

Als ich im April 2018 mit dem Job anfing, gab es neben mir noch vier andere Assistenten, die alle auch Online-Redakteur studiert haben. Das hat sich über die Jahre verändert und jetzt sind es viele mehr, mit ganz unterschiedlichen Backgrounds und Fähigkeiten.

Ein gutes Beispiel dafür ist Carinas Bachelorarbeit. Für diese Arbeit hat sie Leute, die gut fotografieren und Videos machen können, aber auch jemanden, der ihr beim Webdesign hilft.

Es kann nicht nur eine Assistenz geben. Die ganzen Aufgaben wären für eine Person nicht als Minijob zu schaffen. Oft muss auch eine Assistenz kurzfristig absagen. Ein großer Pool an Assistenten ist also eine Sicherheit für Carina. So ist es wahrscheinlicher, dass wirklich eine Assistenz verfügbar ist.

Als Studienassistenz gibt es sehr unterschiedliche Aufgaben. Als Carina 2018 einen Blindenführhund bekam, haben die sich noch einmal verändert.

Im Studienalltag vor Coroni ging es bei mir viel um die Begleitung von Lehrveranstaltungen. Das heißt einmal Vorarbeit: die Folien oder Skripte bereiten normalsehende Assistenzen auf. Eine Assistenz überträgt dann den Inhalt der Folien in eine lineare Textdatei. Dabei werden dann beispielsweise Bilder beschrieben, Grafiken erklärt, Tabellen umgeschrieben…

Zu den Veranstaltungen in Präsenz habe ich Carina oft begleitet. Erst einmal ging es darum, Carina vom Bahnhof abzuholen und mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel zur TH zu fahren. Mit ausfallenden Bussen und Bauarbeiten machen die DB und KVB das oft spannend.

Auf dem Campus angekommen geht es an ein Schließfach, in dem ein Laptop und später auch eine Decke für Carinas Hund Pitou aufbewahrt werden. Den stellt die TH Köln Carina, damit sie genau wie wir Anderen auch einen Laptop für die Lehrveranstaltungen zur Verfügung hat. Auch bei Klausuren benutzt Carina diesen Laptop anstelle eines eigenen Gerätes. Den Laptop, Carina, und seit meinem dritten Semester auch Blindenführhund Pitou, gilt es dann durch die Verwinkelungen der TH zu buchsieren. Mit Carinas aufgeweckter Art gibt es auf diesen Wegen immer etwas zu erzählen.

Wir suchen uns im Raum der Lehrveranstaltung immer einen Platz mit Steckdose für den Laptop und Platz für Carinas Hilfsmittel. Natürlich braucht Pitou genug Platz, um sich hinzulegen und die Veranstaltung zu verschlafen.

Blindenführhund Pitou liegt entspannt in einem Vorlesungsraum
Während die anderen Studierenden arbeiten, kann Blindenführhund Pitou einfach schlafen.

Während der Veranstaltung selbst gab ich zu visuellen Dingen Kontext für Carina und half ihr, wenn der Dozent sein Skript nicht einhielt. Bei praktischen Übungen oder Gruppenarbeit schrieb ich zum Beispiel Carinas Vorschläge auf Moderationskarten, die sie dann vorstellt und die ich dann zu den Karten der anderen an eine Pinnwand hänge, weil dies jeweils visuelle Aufgaben sind, die Carina nicht alleine bewältigen kann.

Andere Aufgaben sind zum Beispiel die Buchrecherche für Hausarbeiten oder Referate.
Das kann heißen, mit Carina vielversprechende Lektüre aus der Datenbank der Bibliothek zusammenzusuchen. Wenn wir diese dann auch aus den Regalen gesucht haben, bediene ich den visuellen Ausleihautomaten.

Natürlich ist ein Buch für eine blinde Person nicht ohne weiteres nutzbar. Also ist der nächste Schritt bei der Literaturarbeit, die ausgeliehenen Bücher mit Carina durchzugehen und relevante Kapitel herauszusuchen. Das kann bei den kryptischen Überschriften mancher Autoren ganz schön schwierig sein. Der magische Part ist dann, die Sachen für Carina lesbar zu machen. Dafür benutzt Carina einen Scanner, auf dem eine normalsehende Assistenz die Seite platziert. Eine spezielle Software kann dann den gedruckten und eingescannten Text in linearen digitalen Text umwandeln. Den kann Carina dann mit Screenreader oder auf der Braillezeile lesen.

Was eine Braillezeile ist? Da fängt der Spaß gerade erst an! Als blinde Studentin hat Carina so einige Hilfsmittel, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können: Punktschriftdrucker, ein Farberkennungsgerät, Braillezeile …
Die Hilfsmittel und viele Assistenten, aber auch einfach viel Mehraufwand von ihr und ihrer Familie ermöglichen ihr das Studium und ein „normales“ Leben.

Die Assistenzarbeit hat Spaß gemacht. Carina ist ein echter Sonnenschein und war immer bemüht, die Arbeit strukturiert und angenehm zu gestalten; bei ihr zuhause gab es immer Kekse, es gab Geburtstags- und Weihnachtsfeiern mit den anderen Assistenten und wir redeten auf Augenhöhe miteinander.

Carina ist ein unglaublich ehrgeiziger und engagierter Mensch. Neben dem Studium bringt sie viel unter: Organisation von Hilfsmitteln, ein ehrenamtliches Radioprojekt, eigene kreative Ideen wie eine Video-Reihe zum Alltag mit Studienassistenz, intensive Freundschaften, ihre Familie. Davor habe ich den größten Respekt. Nach dem Studium möchte Carina ein Volontariat in einer Redaktion absolvieren und ich habe keine Zweifel, dass sie auch das rocken wird.

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